9punkt - Die Debattenrundschau
Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Juni 2016
30.06.2016. Medienmogul Rupert Murdoch gibt Boris Johnson heute nochmal seine Salbung, allerdings unter Bedingungen, weiß politico.eu. In der Zeit beklagt der Soziologe Wolfgang Streeck die "kulturelle Geringschätzung der ortsfesten Anhänger lokaler Traditionen" durch die Remain-Eliten. Die Labour-Partei könnte durch die Brexit-Verwerfungen pulverisiert werden, fürchtet der Guardian. Außerdem erklärt der Kirchenrechtler Martin Grichting in der NZZ, wie Christentum und Säkularismus den Islamismus besiegen können.
29.06.2016. Die Mehrheit der paar jungen Wähler, die zur Wahl gingen, mag gegen den Brexit gestimmt haben. Die meisten aber wählten gar nicht, hat der Guardian herausgefunden. In der taz sind die Schriftstellerinnen Nora Bossong und Aljoscha Brell sauer auf ihre Generation. Nach dem Brexit fürchtet Politico.eu nun eine europaweite Welle der Rufe nach Referenden. Im Standard spricht Philipp Blom über den autoritären Traum in Europa. Gar nicht gut sah das Europaparlament bei einer Rede Mahmud Abbas' aus, der glatt das uralte antisemitische Märchen von den Juden als Brunnenvergiftern auftischte - Standing Ovations in Brüssel. Lizas Welt und das Tabletmag berichten. Und schließlich: Wieviel bekommt eigentlich Mehmet Scholl von der ARD?
28.06.2016. Die große Brexit-Debatte rumort weiter. Der Guardian entwickelt eine Art Zynismus der Verzweiflung und fordert vom künftigen Premier, die EU-Migration in den Griff zu kriegen: Sonst profitiert Nigel Farage. Jeremy Corbyn hat unterdessen eine Verfassungskrise in der Labour-Partei ausgelöst, so Politico.eu. Übrigens war nicht nur die abgehängte Arbeiterklasse, sondern auch die traditionelle Upper Class für Brexit, beharrt Tina Brown in The Daily Beast. Die New York Times erläutert die Entscheidung des Supreme Court zu Abtreibung.
27.06.2016. Chaos nach dem
Brexit-Votum. Warum triumphierte nach der Entscheidung eigentlich nur
Nigel Farage?, fragt Nick Cohen im
Guardian. Und warum zogen
sämtliche Tories die Köpfe ein? Aber
Boris Johnson streckt jetzt im
Telegraph den Kopf heraus und verspricht: Die Briten werden vom Brexit
ausschließlich Vorteile haben. Krise auch bei
Labour.
BBC präsentiert Dokumente, die zeigen, dass
Jeremy Corbyns Büro die Remain-Kampagne nach Kräften bremste. "
He must resign", sagt der
Guardian dazu. In der
NZZ malt
Colm Toibin die Folgen für
Irland aus. Für
Bernard-Henri Lévy ist es der Sieg der
Populisten aller Couleur und aller Länder.
25.06.2016. "Die stiff upper lips haben sich geöffnet und einen wilden unartikulierten Triumphschrei ausgestoßen", schreibt die Irish Times entsetzt über das britische Brexit-Referendum. Im Guardian fühlt sich Timothy Garton Ash so schlecht, wie er sich nach dem Fall der Mauer gut fühlte. In der NZZ siedelt John Burnside die Malaise in Britanniens beschämenden Tiefen an. Die FAZ fühlt sich wie in Pimlico. In der SZ fragt Adam Thirwell: Wo ist die Macht angesiedelt? In der taz fürchtet Robert Misik: Bei Wolfgang Schäuble. Libération wünscht: Good luck!
24.06.2016. Ein gespaltenes Land spaltet Europa. Es ist eine soziale Spaltung, schreibt der Guardian: Es sind traditionelle Labour-Wähler, die den Ausschlag für das Brexit-Votum gaben. Und es sind die älteren Wähler, die den Ausschlag gaben, sagt der Telegraph-Redakteur Ben Riley-Smith: Denn die Jungen wählten zu 75 Prozent Remain. Und es könnte zu weiteren Spaltungen kommen, etwa zu einem nordirischen Referendum für ein Vereinigtes Irland. Und doch ist das Votum für Brexit auch Ausdruck eine weltweiten Symptomatik, schreibt Daniel Vernet in Salte.fr - denn in allen Ländern gibt es jene, die sich als "Ausgeschlossene der Globalisierung" fühlen.
23.06.2016. Heute ist der Tag der Brexit-Abstimmung. Die ersten Ergebnisse kommen von den Isles of Scilly, weiß politico.eu. Der 7. Marquis von Salisbury erklärt in der Welt, warum er sich des Ancien Régime der EU dringend entledigen möchte. Emily Bell sieht in der CJR die sozialen Medien inzwischen als die klar dominierende Spezies in einem neuen Ökosystem - die Medien sind nur noch die Info-Lieferanten. Warum haben so viele ein Problem mit der "grünen" Gentechnik, während sie die Errungenschaften der "roten" Gentechnik begeistert begrüßen?, fragt Thea Dorn in der Zeit.
22.06.2016. Gut, dass die Franzosen nicht über die EU abstimmen, sie sind noch kritischer als die Briten, lernt Politico. Dass der Brexit so populär ist, spricht auch für eine Krise der politischen Repräsentation, meinen Kenan Malik und Robert Harris. Die NZZ sorgt sich um die drohende Überalterung Japans und Chinas. Die taz bringt ein Dossier zum Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges heute vor 75 Jahren.
21.06.2016. In der taz erklärt der Kapitalismukritiker Paul Mason, warum er im Grunde für den Brexit ist. Der Guardian spricht sich dagegen offiziell gegen den Brexit aus. Wiederum in der taz beklagt der Podemos-Politiker Miguel Urbán Crespo den Putsch der EU in Griechenland. Fassungslos blickt die Welt auf AfD-Politiker, die die "Protokolle der Weisen von Zion" für echt halten. Nix zu machen: An Facebook kommen die Medien nicht vorbei, meint Wolfgang Blau im Wiener Kurier. Vorher lassen sie aber in Deutschland noch die Adblocker verbieten, so Netzpolitik.
20.06.2016. Geradezu verzweifelt klingt Nick Cohen im Guardian: "Die englische Luft stinkt so faul, wie ich es seit meiner Kindheit nicht erlebt habe." Auch in Spanien könnten in dieser Woche EU-Kritiker an die Regierung gewählt werden, bemerkt politico.eu. Laut Economist fragt sich Tim Berners-Lee: Was wird aus dem Internet, wenn Googles eigene Seiten 40 Prozent des Traffics einkassieren? Der britische Autor Paul Mason hofft in der FR trotzdem, dass die Informationstechnologie dem Kapitalismus den Garaus macht.
18.06.2016. Im Guardian erklärt der Mann von Jo Cox, Brendan Cox, wie er die Arbeit seiner Frau fortsetzen will: mit eine internationalen Netzwerk gegen den Rechtspopulismus. In der SZ polemisiert A.L. Kennedy scharf gegen die Brexit-Eliten, aber auch die Medien. Die Trump-Anhänger denken nicht politisch, sie sind nur auf den Mann fixiert, meint Dave Eggers im Guardian. Die New York Times bringt eine faszinierende Handybild- und -videoreportage über Syrien. Warum gedenken die Deutschen der jüdischen, aber nicht der sowjetischen Opfer des Nationalsozialismus, fragt die taz.
17.06.2016. Der Mord an der Labour-Abgeordneten Jo Cox, die sich für Flüchtlinge einsetzte, steht symbolisch für einen Moment, in dem die Brexit-Kampagne vollends fremdenfeindliche Züge annahm, meinen Spectator und Guardian. In der NZZ erklärt Boualem Sansal, warum er eine islamistische Diktatur fürchtet, in der Welt kritisiert Marko Martin die Islamkritik. Laut heise.de machen Medien Druck auf die Politik, um Adblocker zu verbieten. Der Tages-Anzeiger fragt: Was verdienen denn die Fürsten in den Kulturinstitutionen so?
16.06.2016. Auch der britischen Kulturwelt würde ein Brexit schaden, meint Kurator Chris Dercon bei sueddeutsche.de. Netzpolitik und Atlantic zitieren neue Studien, die den immer größeren Einfluss der mobilen Internetnutzung der sozialen Medien belegen. Facebook nimmt in den USA bald so viel mit Werbung ein wie die GEZ in Deutschland durch Eintreiben von Gebühren - das lohnt sich, erfährt die FAZ bei einem Besuch. Patienten, die ihr Leiden beenden wollen, bleibt nach der Verschärfung des Paragrafen 217 des Strafgesetzbuchs immerhin noch der FVNF, hat die taz herausgefunden.
15.06.2016. Schwulenhass junger Männer kommt nicht selten aus uneingestandener Homosexualität, meint Jan Feddersen in der taz. Im Standard macht sich Philosoph Franco Berardi über nihilistische Verzweiflungstäter der Gegenwart Gedanken. Der Krieg zwischen Gawker und Peter Thiel geht laut Gawker weiter: Diesmal rauft man sich Donald Trumps Haar. Und die FAZ freut sich mit ARD und ZDF und siebzehn Auszubildenden bei der GEZ: "Auf exakt 8.131.285.001,97 Euro belaufen sich die Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag im Jahr 2015."
14.06.2016. Die Diskussion um das Attentat von Orlando ist auch eine um Benennungen: Warum haben deutsche Politiker nicht ausdrücklich Schwule und Lesben als Opfer benannt? Warum schweigt Trump über die Waffengesetze? Warum erwähnt Obama den islamistischen Hintergrund nicht? Und warum gibt's bei der Fußball-EM keine Schweigeminute?, fragen Medien und Blogs. Außerdem: Irights.info beleuchtet den inkonsistenten Umgang von Museen mit Abbildungen rechtefreier Werke. Die NZZ fragt: Wem gebührt das "Geistige Eigentum" an Werken der Künstlichen Intelligenz?
13.06.2016. Das ging nicht einfach gegen Homosexuelle, meint die New York Times nach dem Attentat auf eine Schwulenbar in Orlando, das ging gegen alle Menschen, die sich den religiösen Fanatikern nicht unterwerfen wollen. Die FAZ plädiert für eine Dreistaatenlösung auf deutschen Straßen. Die Welt analysiert die Rhetorik der AfD. Keine Polizei ist auch keine Lösung, erkennt die taz angesichts der Missbrauchsvorwürfe gegen Jacob Appelbaum.
11.06.2016. In der FR erklärt Gilles Kepel, warum der Dschihad gerade in Frankreich und auf Arabisch geführt wird. In der taz erklärt der Schriftsteller Hector Abad, warum er optimistisch sein muss, wenn es um den Frieden in Kolumbien geht. In der FAZ bekommt WDR-Reporter Hajo Seppelt Besuch vom russischen Staatsfernsehen. Der Guardian und die Welt fragen: Was ist schlimmer: Brexit oder Trump?
10.06.2016. The Atlantic hat ein Video mit Christopher Hitchens gefunden, der prophezeite, dass man ihm einst eine Sterbebett-Konversion nachsagen würde, und siehe, so geschah es. Die SZ befasst sich mit islamischer Theologie, die an deutschen Unis einen regelrechten Boom erlebt. Die FAZ staunt sehr über den Preis der Fußball-TV-Rechte, der um 85 Prozent gestiegen ist. Der Tagesspiegel schildert die explosive Geschichtspolitik in Kroatien. In der taz sehnt sich Daniel Cohn-Bendit nach der "Black-blanc-beur"-Euphorie der Fußball-WM von 1998.
09.06.2016. In der Zeit sagen britische Historiker von rechts und links, warum sie die EU verlassen wollen. Pankaj Mishra rät den Briten, zunächst mal den Verlust des Empire zu verkraften. Politico.eu berichtet, dass Frankreich im Fall eines Brexit für eine sehr harte Haltung gegenüber den Briten ist. In der taz erklärt der Historiker Robert O. Paxton, warum Donald Trump kein Faschist ist. Recode.net verzeichnet mit Erstaunen die Krise der App-Industrie. Die neuesten Apps sind sowieso zum Schlucken, weiß Sascha Lobo bei Spiegel online. Und wie wär's mit Philosophie statt Religion in den Schulen?, fragt Philosophieprofessor Markus Tiedemann in der Zeit.
08.06.2016. Der HPD hat eine überraschende Meldung: In Berlin sind selbst die Katholiken und Protestanten mehrheitlich nicht religiös. Mit Ausnahme der taz, der fast nur Pastoren und gläubige Menschen für das Amt der Bundespräsidentin einfallen. Brendan Simms fürchtet in der Basler Zeitung, dass die EU einen Brexit nicht verkraftet. In der Welt ärgert sich Arianna Huffington über amerikanische Medien, die Donald Trump mit Glacéhandschuhen anfassen.
07.06.2016. Nach der VG-Wort-Entscheidung versuchen nun auch die Buchverlage, ein Leistungsschutzrecht durchzusetzen - Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang hofft im Börsenblatt auf EU-Kommissar Günther Oettinger. Die NZZ fürchtet den globalen "Digital Divide". Jacob Appelbaum wehrt sich auf Twitter sehr entschieden gegen Vorwürfe sexuellen Missbrauchs. In der NZZ spricht Jean Hatzfeld über das Grauen in Ruanda. Das AfD-Programm widerspricht dem Grundgesetz, meint Verfassungsrechtler Joachim Wieland in der taz. Und der New Yorker fragt: Warum lieben Evangelikale tote Atheisten?
06.06.2016. In der SZ erzählt Najem Wali, wie er seinerzeit die Konversion Muhammad Alis zum Islam wahrnahm. Nein, Christopher Hitchens ist auf seinem Sterbebett nicht zum Christentum konvertiert, versichert sein Sohn Alexander im Guardian. Die Welt blickt auf den Historikerstreit zurück, der sich dreißig Jahre danach als eine sehr deutsche Debatte ausnimmt. Deprimiert verfolgt Andrew Hill in Medium die Leave- und Remain-Kampagnen, in denen er nur zwei Schattierungen des Euroskeptizismus erblickt.
04.06.2016. In der taz zeigt Timothy Snyder, wie die nationalistische Geschichtspolitik der polnischen Regierung die Rolle Polens im Zweiten Weltkrieg eher schmälert. Achille Mbembe fragt sich in Libération, warum die Franzosen eine anale Fixierung auf das Kopftuch haben. Das Humboldt-Forum soll sich nicht als "ethnografisches" Museum verstehen, fordert die Museumshistorikerin Sharon MacDonald in der taz. Zwei Videos zeigen, warum Mahammad Ali als Angreifer und mehr noch als Verteidiger, der Größte war.
03.06.2016. Im Interview mit der Presse spricht Gilles Kepel über seinen Streit mit Olivier Roy, aber auch über die ökonomischen Aspekte des Islamismus in Frankreich. In der Revue des deux mondes erzählt Elisabeth Badinter, wie die Französische Revolution die Aufklärung verriet. In der NZZ begrüßt der norwegische Autor Kjartan Fløgstad die Flüchtlinge am nördlichsten Zipfel des Schengen-Raums. In der SZ lernen wir: Kein Parmesan ohne Inder. Und amerikanischen Journalismus machen die Inder laut taz inzwischen auch.
02.06.2016. Libération hofft auf den Brexit - aber nicht im Interesse der Briten. Gerade die Sozialdemokraten müssten Interesse an einer geringeren Zuwanderung haben, meint der britische Publizist David Goodhart in der Zeit. Politico.eu untersucht die engen Beziehungen zwischen Podemos und dem Venzuela des Hugo Chavez. Statt eines Islamunterrichts schlägt Evelyn Finger in der Zeit einen bekenntnisübergreifenden Religionsunterricht in den Schulen vor. Es ist heuchlerisch, den Völkermord an den Armeniern anzuerkennen, wenn man nicht auch den Völkermord an den Herero als solchen benennt, meint die taz.
01.06.2016. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts pro Sampling und künstlerische Kreativität sorgt für Begeisterung von Netzpolitik bis Zeit online. Nur die FAZ (naja, eine Abteilung der FAZ) rümpft die Nase. In der New York Times setzt sich der kanadische Autor Stephen Marche für Gawker ein, obwohl ihn das Blog zweimal auf die Liste der zehn unwichtigsten Autoren setzte. Nichts ist in Ordnung in Palmyra, warnt Hermann Parzinger in der FAZ. Ach so, und die SPD wird schon wieder, meint Peter Sloterdijk in der Berliner Zeitung.